Kalabrien – Liebe zum Wein, Polenta im Brot und Melanzane D.O.P.
Vom Golf von Neapel über den Pollino in Kalabrien nach Manduria in Apulien führte mich eine Reportage für das Kundenmagazin WeinLese des Schweizer Biowein-Händlers Delinat. Mit dabei: Claudio Del Principe, Autor sinnlich-italienischer Kochbücher und freischaffender Texter. Von ihm sind die Texte. Grazie Claudio!
Kalabrien! Endlich setze ich einen Fuss in diese Region. Diese einst florierende, vergessene, langsam widerentdeckte, traditionsreiche, ndrangheta-geplagte und kulinarisch so reiche Region. Mit Menschen von frappierender Herzlichkeit. So wie der schlanke, kultivierte Ingeniere Falvo. Ermanno Falvo und seine Frau, die charmante Chemielehrerin Gabriela, empfangen uns voller Freude auf ihrem Weingut am Fusse des Monte Pollino, dem grössten Nationalpark Italiens mit einer enormen Biodiversität. Die beiden sind Spätberufene, die sich erst seit wenigen Jahren mit grosser Leidenschaft dem Wein widmen. Ermanno und sein Bruder Piergiorgio übernahmen 2005 das 26 Hektar grosse Familienanwesen «Masseria Falvo» aus dem im Jahre 1727. Sie renovierten das Gehöft und erweckten die Ländereien zu neuem Leben.

Winzerpaar Gabriela und Ermanno Falvo.

Winzer Ermanno Falvo von der Masseria Falvo in Kalabrien
Neben Oliven und Clementinen liegt ihnen vor allem die Pflege einheimischer Rebsorten wie Magliocco dolce, Guarnaccia oder Moscato di Saracena am Herzen.Sie investierten in neuste Anlagen für den Bio-Weinbau und schafften neue Eichenholzfässer an in denen unter anderem der charakteristische, kräftige Rotwein Graneta reift.Wir machen es uns bei einem improvisierten Lunch in der Kellerei gemütlich. Man erkennt gleich die Handschrift des Ingeniere: Die Stahltanks sind akkurat ausgerichtet, alles ist aufgeräumt und sauber und zeugt von grosser Sorgfalt und Detailverliebtheit. Ich schnuppere am Brot und weiss, da steckt Lievito Madre drin! Es kommt nicht vom Supermarkt sondern von einem Bäcker, der das Handwerk lebt und dem Teig Ruhe gönnt. Der typische, feinsäuerliche Geschmack der sich dabei entwickelt, erinnert mich an das Sauerteigbrot meiner Kindheit in den Abruzzen. Ermanno bestätigt: «Das ist Holzofenbrot aus Cerchiara.

Masseria Falvo, Kalabrien.
Heute Abend werden wir «Frascatola» serviert bekommen, ein ganzer Brotlaib gefüllt Polenta und Grünkohl. Und natürlich Lenticchie di Mormano, Cavatelli mit Nduja und vieles mehr» (es war dann tatsächlich sehr viel mehr!) Dazu gibt es würzige Soppressata, für die Kalabrien berühmt ist. Das Fleisch stammt vom schwarzen Schwein «Nero di Calabria». Die Tiere leben halbwild im Naturschutzgebiet des Monte Pollino bis nach Aspromonte und fressen, was sie unter Kastanien, Eichen und Olivenbäumen finden. Aus dem Fleisch entstehen Wurstwaren von ausserordentlicher Qualität, wie Salsiccia, Soppressata, Pancetta, Prosciutto und Guanciale. Oder Vuccularo, den uns Ermanno zu kosten gibt, dünn aufgeschnittener Lardo vom Schweinehals. Er schmilzt auf der Zunge und hinterlässt einen intensiven, nussigen Geschmack im Gaumen. Auch die gereiften Schafskäse schmecken intensiv und unverfälscht. Dieses Unverfälschte und Ungeschönte sind Eigenschaften, die Ermanno auch mit seinen Weinen erreichen möchte. Bescheiden gibt er zu, dass er nicht viel vom Wein machen verstehe. «Deshalb arbeiten wir einfach und geradlinig. Unsere Weine sollen unverkennbar den Geschmack der Region widerspiegeln. Mit Vinzenco Mercurio haben wir einen erfahrenen Önologen engagiert, der uns in diesem Bestreben bestens unterstützt».

Polenta im Brot

Ricottina con guanciale fritto

Uovo perduto con tartufo e crema di cacio cavallo
Ermanno fährt uns nach Amendolara. Wir haben eine Verabredung mit dem Bürgermeister! Vom kargigen Gebirge geht es in nur 30 Minuten ans Meer. Hier wächst eine autochntone Mandel, die das Potential hat, begehrter zu werden als die Avola-Mandel aus Sizilien. Wir degustieren in einer Metzgerei hervorragende Mortadella mit Mandeln und in einer Gelateria sündhaft gute Eiscreme davon. Bürgermeister Ciminelli gibt auf den Weg, die Welt wissen zu lassen, dass hier nicht nur die schmackhafteste Mandel wächst, sondern auch die besten Bergamotten und Orangen. Wie auch Safran, Reis, Hülsenfrüchte, Feigen oder die berühmten Peperoncini.

Mandeln. Amendolara, Kalabrien

Mortadella alle Mandorle. Amendolara, Kalabrien
«Und diese kleine rote Aubergine, die aussieht wie eine Tomate?» erkundige ich mich. «La Melanzana rossa di Rotonda!» erwidert Ermanno, «ich fahr euch hin.» Auf der anderen Seite des Pollino in der Region Basilicata, in Rotonda (und nur dort) wächst diese sagenhafte Aubergine mit dem ausgeprägten Aussehen und Geschmack. Niemand bereitet schönere Gerichte daraus, als Flavia di Marco vom Ristorante da Peppe in Rotonda. Nach ein paar Kochjahren in London hat sie den elterlichen Betrieb übernommen und serviert nun elegante Kreationen zwischen Tradition und Innovation. Zum Beispiel konfierte Auberginen mit Ingwer zum Zicklein, Auberginen-Soufflé zu Schmelztomaten oder gar als Creme und dunkler Schokolade als Süsspeise.

La Melanzana rossa di Rotonda. D.O.P.-Gemüse aus Kalabrien.

Landwirt Fortunato Caruso baut die Melanzana rossa di Rotonda an. Kalabrien.
Als wir zum Abschied im Rebberg stehen, um uns Gipfel über 2000 Meter, vor uns das Meer, meint Ermanno: «Meine Mutter hatte mich gewarnt. Sie meinte, „der Wein raubt dir die Zeit“. Aber das Gegenteil ist eingetroffen. Ich habe Zeit gewonnen, die mich mit Befriedigung erfüllt. Dank dem Wein habe ich den Rhythmus der Natur wiedergefunden und die Wurzeln meiner Identität.»
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