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Apulien – Pasta, Brot und Meer

Vom Golf von Neapel über den Pollino in Kalabrien nach Manduria in Apulien führte mich eine Reportage für das Kundenmagazin WeinLese des Schweizer Biowein-Händlers Delinat.  Mit dabei: Claudio Del Principe, Autor sinnlich-italienischer Kochbücher und freischaffender Texter. Von ihm sind die Texte. Grazie Claudio!

Salvatore Mero ist ein wandelndes Lexikon. Es ist halb sechs Uhr morgens und auf der Fahrt zu einem traditionellen Holzofenbäcker in Manduria erzählt er so viel über Apulien, dass mein Notizbuch zu einer kleinen Enzyklopädie anschwillt. Der sympathische Winzer sprudelt vor Wissensvermittlung, Neugier, Leidenschaft für Landwirtschaft und purer Lebenslust. Wir sind in einer der ältesten Backstuben des Salento bei Bäcker Giovanni Stasi, der noch mit 82 Jahren in einer Ruhe handgeformten Laiben liebevoll eine Seele einhaucht. Es ist ein karger Raum. Den Eingang könnte man glatt verwechseln mit einem unscheinbaren Wohnhäuschen. Eines dieser geduckten, aus weissem Tuffstein. Ganz Manduria besteht aus diesem charaktristischen Stein. Darin steht ein Jahrhundertealter Holzofen. Mein Herz schlägt höher, wenn es um Brot geht. Und hier sind wir im Herzen einer ganz grossen Brottradition Italiens. Pane Pugliese ist einzigartig. Pane di Altamura gar das einzige Brot weltweit mit geschützter Ursprungsbezeichnung. Brot wird hier nicht aus Weich- sondern aus dem blassgelben Hartweizen gebacken. Dieser Weizen, auf den die Menschen hier so stolz sind. Weil daraus neben dem täglichen Brot auch die typischen gelochten Frese entstehen, Taralli, Süssgebäck, aber eben auch kunstvolle, handgemachte Pasta. Wir sind hier im Land der Orecchiette. Sie bestehen nur aus Wasser und Hartweizengriess. Die Purezza der apulischen Küche ist beispiellos. Der Garten Eden Italiens, mit der schönsten und schmackhaftesten Gemüsevielfalt. Giovanni schiebt so nebenbei noch Peperoni in den Ofen. Gewürzte Feigen. Und eine «Pignata» mit Fave. Der Duft lässt sogleich unseren Magen knurren! Die Saubohnen garen sanft im Tonkrug. Werden dann püriert und mit Catalogna als regionaltypische „Fave Cicoria“ gegessen.

Bäcker Giovanni Stasi (82) mit einem Korb frischen Brotes. Manduria, Apulien.

Peperoni aus dem Holzofen

Backer Giovanni Stasi (82) schiebt Frese in den Holzofen.

Frese, typisches Trockengebäck aus Apulien

Frese mit Tomaten und Olivenöl

Doch vorher geht es aufs Feld. Die Reben – hauptsächlich die Sorten Primitivo, Negroamaro und Malvasia nera –  sind mitten in Jahrhunderte alte Olivenbäume eingebettet. Wir befinden uns im Ausläufer des Appenins, in der Murgia Tarantina. Das Ionische Meer ist einen Steinwurf entfern. Bis zur adriatischen Küste sind es gerademal 50 Kilometer. Hier gedeihen grossartige, kraftvolle Weine, die Dank der Sorgfalt in der Kellerei «Felline» sehr modern, schlank und elegant wirken. Sie tragen wesentlich dazu bei, den Ruf des beliebten Primitivo di Manduria als hochwertigen Spitzenwein zu festigen. Salvatore stoppt alle paar Schritte. Er macht einen auf Quizmaster, zeigt auf etwas und fragt: «Wisst ihr was das ist?» Bevor wir irgendetwas Falsches sagen, löst er auf: «Wilde Kapern». Zwei Schritte weiter, gleich neben den verlassenen Trulli Kaktusfeigen, violette Feigen, Quitten, Mandeln, Zichorie Birnen, Fenchel, es hört nicht auf. Und das alles gleich neben den Reben. Da! Spargeln. «Spargeln? Wachsen die nicht im Frühling?» «Die hier nicht», sagt Salvatore. «Diese schlanken, wilden Spargeln geniessen wir im Herbst. Kurz dämpfen, Faden Oliven darüber, wunderbar.»

Winzer Salvatore Mero von der Agricola Felline in Manduria, Apulien

Rascemi Primitivo

Rascemi Primitivo

Einmal steht er während der Fahrt voll auf die Eisen und steigt aus: «Das wilde Pflänzchen hier?» Sieht aus wie Unkraut. «Rucola!». Es muss etwas geben, dass ich kenne und er nicht, denke ich mir. In den Dünen entdecke ich es auf einem Felsen, «das hier, Salvatore?». «Keine Ahnung …» «Ich schon: Meerfenchel! Schmeckt ganz toll, eine Mischung aus Kapern und Queller. Kurz dämpfen, Faden Oliven darüber, wunderbar.»

Meeresfenchel am Strand von Manduria

Wenn er vom Wein redet, spricht er wie von seinen Kindern. Respektvoll. Liebevoll. Wie auch vom Land. Den Erzeugnissen und der Jahrtausende alten Kultur, von der man in Manduria auf Schritt und Tritt Zeuge wird. Der heilige Petrus soll in nahe Manduria Schiffbruch erleidet haben. Die Einwohner von Felline halfen ihm aus der Seenot. Darauf habe er von hier aus das Christentum verkündet, zog nach Rom weiter und wurde erster Papst. Auf dem Weg zum nahen Strand halten wir in der Käserei Olivaro und holen uns ein zweites Frühstück. Die frischen Mozzarelle und Nodini verspeisen wir im Schatten eines 400 Jahre alten Olivenbaums. Der Geschmack ist umwerfend und so komplett anders als die Büffelmilchmozzarella, die wir in Kampanien gekostet hatten. Hier wird auch die unwiderstehliche Burrata aus Kuhmilch hergestellt, Stracciatella oder die gereifte Ricotta forte, die einem fast die Schuhe auszieht, so pikant und kräftig schmeckt die. Was ihn motiviert habe, vor über zwanzig Jahren auf Bio umzustellen, möchte ich wissen. «Es ist ganz einfach, wer sich selber respektiert, muss auch die Natur respektieren. Ich bin praktisch auf dem Feld, in den Reben geboren, ich möchte Lebensmittel konsumieren ohne Stoffe, die mir oder der Natur schaden. Das ist meine Motivation». Wir treffen seinen Partner und Önologen Gregorio Perrucci im «Spazio Primitivo». Im einladenden grosszügigen Showroom führen sie zusammen, was zusammen gehört: Wein, Essen, Kultur. «Für uns steht Wein immer in Verbindung mit Essen. Unsere Tradition, unser Land, der Duft vom Wein und der Geschmack der Speisen, das alles muss sich harmonisch miteinander verbinden, damit man den perfekten Genuss hat.» Wir lernen von den Frauen aus Fellino, wie man Pasta zubereitet. Orecchiette Pizzarieddi. Wie man eine Parmigiana aus Auberginen schichtet und einen Sugo mit Braciole, den typischen Rindfleischrouladen kocht. Das alles verpeisen wir gemeinsam an einer tavolata, während Gregorio am Flügel sitzt und eine fröhlich singende Hochzeitsgesellschaft bespasst, die zum Testessen hier ist. Wir könnten die ganze Nacht zuschauen und weiteressen. Ach, was. Den Rest unseres Lebens!

Pasta. Orechiette und Maccheroni

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